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Gene Drives in die Warteschleife!

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Gene Drives in die Warteschleife!
Europaweite Umfrage untermauert Forderung nach Moratorium
Janina Johannsen18. Februar 2021
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Die europäische „Stop Gene Drive“-Kampagne fordert ein weltweites Moratorium bzgl. der Freisetzung von Gene Drive Organismen. Dadurch soll Zeit gewonnen werden für eine dringend notwendige gesellschaftliche und politische Debatte.

Eigentlich sollte 2020 das Jahr der Entscheidung hinsichtlich der Regulierung von Gene Drive Organismen (GDO) auf internationaler Ebene sein. Aufgrund der Corona-Pandemie wurde die 15. Vertragsstaatenkonferenz der UN Biodiversitätskonvention (CBD COP 15) in China inzwischen aber auf Herbst 2021 verschoben. Zahlreiche Organisationen hoffen nun, dass bei der Konferenz endlich ein globales Moratorium auf jegliche Freisetzungen, den Import und den kommerziellen Anbau von GDO, sowie strenge Sicherheitsstandards für Forschungslabore beschlossen werden. Bei der letzten CBD COP 14 wurde lediglich auf die Anwendung des Vorsorgeprinzips, die Erstellung von Risikobewertungen sowie die Berücksichtigung und Einbindung „möglicherweise betroffener“ lokaler und indigener Gemeinschaften verwiesen. Dieser vermeintliche Kompromiss ist zunächst zwar begrüßenswert, tatsächlich ist es aber nur ein erster Schritt in Richtung einer unbedingt notwendigen gesellschaftlichen Debatte über Gene Drives – die dringend gebraucht wird, bevor Fakten geschaffen werden.

Eigenschaften, Anwendungsgebiete und Risiken

Gene Drives bezeichnen mit Hilfe von CRISPR-Cas entwickelte genetische Elemente, die über Generationen hinweg konkurrierende Genvarianten aus dem Erbgut verdrängen. Dadurch werden Gene nicht wie allgemein üblich nur an einen Teil der Nachkommen weitergegeben, sondern (theoretisch) an alle – es werden also die Regeln der Mendelschen Vererbung außer Kraft gesetzt.
Die Bekämpfung von durch Mücken und Zecken übertragene Infektionskrankheiten (Malaria, Dengue Fieber, Borreliose) erfährt aktuell die größte Medienpräsenz (z.B. das Target-Malaria-Projekt). Weitere Anwendungsbereiche umfassen die Bekämpfung eingeschleppter invasiver Arten, die regionale Tier- und Pflanzenarten bedrohen; aber auch der Einsatz als Biowaffe ist denkbar. Langfristig könnte hingegen die industrielle Landwirtschaft der wichtigste Anwendungsbereich von GDO werden. Hierbei steht v.a. die Bekämpfung von Schädlingen und (resistenten) Beikräutern im Vordergrund – wofür inzwischen schon mehrere Patente angemeldet wurden. Da sich GDO aktiv in frei lebenden Populationen und über große Distanzen hinweg ausbreiten, ist eine Kontrolle möglicher Risiken auf die Lebensräume nahezu unmöglich. Eine Umkehr- oder Rückholbarkeit erscheint aufgrund des dominanten Verbreitungsmechanismus zudem äußerst unrealistisch. Die Ausbildung von Resistenzen gegen Gene Drives und Auskreuzungen über Artgrenzen hinweg stellen weitere Risiken dar. Diese Manipulationen, bis hin zur Ausrottung von Arten, werden Auswirkungen auf funktionierende Ökosysteme haben. Ganz abgesehen von unerwarteten Effekten die durch den Einsatz der neuen Gentechniken entstehen können.

Derzeitige Regulierung

Momentan gibt es keine international verbindlichen Bestimmungen über die Freisetzung von GDO in die Umwelt. Im ersten Quartal 2021 soll lediglich eine aktualisierte Version der „Orientierungsleitlinien für die Prüfung von gentechnisch veränderten Moskitos“ der WHO erscheinen, in der es u.a. konkret um das Target-Malaria-Projekt und die geplanten Freilandversuche in Burkina Faso gehen wird. In Deutschland müssen Arbeiten mit GDO nach einem Beschluss des Bundesrats vom Juni 2019 vorsorglich in der Sicherheitsstufe drei (von vier) erfolgen. Zudem müssen nach einer Einzelfallbewertung zusätzliche GDO-spezifische Standards entwickelt werden, um ein Entkommen und die Vermehrung von GDO in natürlichen Populationen zuverlässig zu unterbinden.
In der EU konzentriert sich die politische Debatte bislang hauptsächlich auf die Positionierung bei den CBD COP 15 Verhandlungen. Im Januar 2020 wurde die EU-Kommission vom EU-Parlament aufgefordert, sich bei der CBD COP 15 für ein globales Gene Drive Moratorium einzusetzen. Ein von der EU-Kommission in Auftrag gegebener Ethikbericht zu den ethischen, sozialen und rechtlichen Auswirkungen u.a. von GDO wird im Frühjahr 2021 erwartet. Im April 2021 wird außerdem über den Bericht des EU-Parlaments zur EU-Biodiversitätsstrategie abgestimmt, in dem erneut eine kritische Position zu GDO beschlossen werden könnte.

EFSA verschleiert Risiken

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) wurde von der EU-Kommission beauftragt, die Risiken und Auswirkungen von GDO auf Mensch und Umwelt zu ermitteln und die geltenden Leitlinien zur Risikobewertung hierauf zu prüfen. In dem Ende 2020 veröffentlichten und von viele Seiten stark kritisierten Gutachten werden die bestehenden Regulierungen als hinreichend, aber nicht unbedingt ausreichend beschrieben.1 Ob GDO potenziell neuartige Gefahren darstellen, soll von Fall zu Fall entschieden werden, und etwaige Unsicherheiten durch mathematische Modellierung bzw. anhand von Freisetzungsversuchen mit ähnlichen gentechnisch veränderten Organismen abgeschätzt werden. Um die Eigenschaften der Nachkommen von GDO vorherzusagen gibt es bisher jedoch keine sicheren Methoden, ebenso wenig wie Möglichkeiten für wirksame räumliche und zeitliche Kontrollen. Diese grundsätzlichen Probleme für die Risikobewertung werden von der EFSA aber nicht thematisiert und die Vergleiche von Gene Drives mit sich davon grundlegend unterscheidenden Gentechniken führen dazu, dass die eigentlichen Risiken systematisch unterschätzt werden. Die fehlende Unabhängigkeit (v.a. durch finanzielle Interessen) der zuständigen Arbeitsgruppe bei der EFSA trägt dabei ebenso wenig zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit dieser neuen Technologie bei.2

Mehrheit der Europäer*innen lehnt GDO ab

Da eine Risikobewertung alleine nicht ausreicht, um über die Regulierung von GDO zu entscheiden, v.a. wenn die Gesellschaft noch viel zu wenig über die möglichen (ethischen) Auswirkungen Bescheid weiß, hat eine europaweite Koalition im Rahmen ihrer „Stop Gene Drive“-Kampagne eine repräsentative Umfrage in acht europäischen Ländern in Auftrag gegeben.3 Die Umfrage zeigt, dass eine Mehrheit der Europäer*innen die gentechnische Veränderung wild lebender Arten durch Gene Drives ablehnt: Je nach Land sind 46-70 Prozent der Befragten der Meinung, dass die Risiken solcher Experimente zu hoch wären. 65-82 Prozent der Befragten sind dafür, die erstmalige Freisetzung von GDO in die Umwelt so lange zu verschieben, bis wissenschaftlich bewiesen ist, dass ihre Freisetzung weder der Artenvielfalt, der menschlichen Gesundheit, der Landwirtschaft noch dem Frieden schaden würde. 61-85 Prozent der Befragten stimmen zu, dass wir einen globalen Konsens brauchen, bevor die absichtliche oder versehentliche Freisetzung von sich weltweit ausbreitenden GDO in die Umwelt, wie derzeit in Burkina Faso geplant, erfolgt. Die Umfrage ergab auch, dass sich 14-27 Prozent der Befragten noch nicht in der Lage fühlen, sich eine endgültige Meinung zu bilden, oder es nicht wissen (1-24 Prozent). Dieses erste Stimmungsbild zeigt deutlich, dass ein Großteil der Bevölkerung mit den aktuellen Entwicklungen nicht einverstanden ist. Demzufolge ist der Ruf nach einem Moratorium für GDO mehr als berechtigt.4 Dieser Forderung haben sich mittlerweile mehr als 263.000 Menschen in einer aktuell laufenden Petition angeschlossen.5
Bis zum Erscheinen der o.g. Leitlinien und Berichte, will die Koalition mit dieser Umfrage inzwischen eine breite gesellschaftliche Debatte zum Thema Gene Drives in Gang bringen. Es soll ganz allgemein die Frage erörtert werden, ob GDO in der aktuellen Form überhaupt eingesetzt werden sollen. Dass der Einsatz von GDO mit ein paar Auflagen schon jetzt als unbedenklich dargestellt wird, erscheint zu einem Zeitpunkt, an dem laut der Umfrage die Mehrheit dagegen ist bzw. keine Ahnung hat, was das überhaupt sein soll, als sehr problematisch. Die weiteren Verhandlungen müssen auf einer breiten, inklusiven, partizipativen und demokratischen Debatte und einer umfassenden Risiko- und Technikfolgenabschätzung basieren. Um zu klären, ob der Einsatz der Gene Drive-Technologie überhaupt erwünscht ist, muss eine breite Öffentlichkeit sowohl über den Nutzen als auch über die möglichen Folgen diskutieren. Darauf aufbauend kann erst dann eine vernünftige und zukunftsorientierte politische Entscheidung herbeigeführt werden.

Internationale Regulierung und globaler Konsens

In einem 2019 veröffentlichten Report zur Bewertung der Synthetischen Biologie und des Biodiversitätsschutzes beschreibt die Weltnaturschutzorganisation IUCN die vermeintlich positiven Anwendungsbeispiele von GDO im Naturschutz und folgt damit einer mehrheitlich Pro-Gentechnik-Einstellung ihrer Mitglieder.6 Die Ergebnisse der neuen Umfrage können somit auch einen Einfluss auf die Debatten beim Weltnaturschutzkongress im September 2021 haben, bei dem eine neue Richtlinie zum Thema Naturschutz und Synthetische Biologie innerhalb der IUCN abgestimmt werden soll.
Die europaweite Koalition setzt zudem große Hoffnungen darauf, dass die deutsche Bundesregierung die Ergebnisse der Umfrage ernst nimmt und ebenfalls ein globales Moratorium für GDO fordert. Dadurch würde sie endlich eine klare Position im Vorfeld der CBD COP 15 einnehmen und ein wichtiges Signal bzgl. des Entwurfs des globalen Biodiversitäts-Rahmenwerks senden. Bei der CBD COP 15 im Herbst 2020 wären die Verhandlungen unter deutscher Ratspräsidentschaft geführt bzw. moderiert worden, jetzt ist sie selbst Verhandlungspartner und könnte sich dadurch entschlossen für ein GDO-Moratorium einsetzen, das so lange anhalten muss, bis international geltende Regulierungen und ein globaler Konsens erreicht werden.

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